18.04.2021

Gqeberha – Ein vermeintlicher Zungenbrecher ersetzt koloniale Hinterlassenschaften

Port Elizabeth heißt jetzt Gqeberha. Die Umbenennung Port Elizabeths kommt für die meisten wohl nicht überraschend. Der Zungenbrecher bietet nicht nur die Möglichkeit, die eigenen Fähigkeiten des Mundraums zu erkunden, sondern auch sich einiger Altlasten aus Kolonialzeiten zu entledigen.

Wenn wir noch Anfang dieses Jahres durch das Eastern Cape in Südafrika gefahren wären, hätten wir denken können uns irgendwo in Europa zu befinden. Die Fahrt wäre an Orten wie MaClear Town, King Williamstown, Berlin, Port Elizabeth oder Uitenhagen vorbei gegangen. Wir wären am East London Airport oder am Port Elizabeth International Airport gelandet. All diese Namen sind Relikte aus den „vergangenen“ Kolonial- und Apartheidszeiten. Das „vergangen” setze ich hier nur in Anführungszeichen, da ein Großteil dieser Namen und die damit verbundenen, kolonialen Vermächtnisse die Gesellschaft weiterhin prägen.

Nachdem es in Südafrika seit dem Ende der Apartheid 1994 immer wieder zu Wellen von Namensänderungen kam, verkündete nun am 23. Februar 2021 der Minister für Sport, Kunst und Kultur Nathi Mthethwa die Umbenennung vieler Städte- und Ortsnamen im Eastern Cape. In der Provinz des Eastern Capes sitzt auch Masifunde Learner Development, genauer gesagt in Gqeberha, was bis zum Februar noch Port Elizabeth hieß.

Doch woher kommen überhaupt diese Ortsnamen? Ein kurzer Exkurs in die Geschichte Südafrikas. Der Beginn der kolonialen Geschichtsschreibung Südafrikas wird auf den April 1652 datiert, als Seefahrer der Niederländischen Ostindienkompanie (VOC) eine Versorgungsstation in der Region des heutigen Kapstadts errichteten. Durch die sich immer weiter ausbauende Seefahrt, begannen die sogenannten Kapniederländer:innen ihre eigene Landwirtschaft und Viehzucht zu betreiben. Im 17. und 18. Jahrhundert breitete sich die Kapkolonie zum größten Teil gewaltsam aus, zunächst über die gesamte westliche Küstenregion, wo vor allem die Khoisan lebten und dann immer weiter ostwärts, wo die Siedler:innen auf das Volk der Bantu trafen. Hier fand dann auch der erste von acht Grenzkriegen statt. Diese wurden über einen Zeitraum von über 100 Jahren ausgetragen, während vor allem im Westen des Landes immer mehr Khoikhois versklavt wurden. Außerdem verschleppten die Kapkolonialist:innen immer mehr versklavte Menschen aus Madagaskar, Indien und Indonesien nach Südafrika. Deren Nachfahrerinnen und Nachfahrer machen heute immer noch rund 50% der Bevölkerung des Westkaps aus. Eines der immateriellen Vermächtnisse der niederländischen Kapkolonie sind die unzähligen Namen aus dieser Zeit, wie zum Beispiel Stellenbosch. Mit dem Bankrott der VOC versuchten die Truppen des Vereinigten Königreiches die Kapkolonie zu besetzen und gründeten 1806 endgültig eine britische Kronkolonie. Während sich in den nächsten Jahren eine Selbstregierung und eine von London genehmigte Verfassung entwickelten, verfestigten sich unter anderem Gesetze und Praktiken der „Rassentrennung“ und die christliche Missionarsarbeit britischer Siedler:innen begann. Auch wurde das besiedelte Gebiet immer weiter ostwärts ausgebreitet, was zur gewaltsamer werdenden Fortsetzung der Grenzkriege gegen das Volk der Xhosa führte. Es wurde zur Sicherung des Ostkaps eine Garnissionsstadt gegründet: Grahamstown (seit 2018 Makhanda). Nach der Übernahme der Macht durch die britische Besatzung wollten sich viele Bur:innen von der britischen Exekutive befreien und expandierten ihr Gebiet immer weiter nördlich des Oranje-Flusses. Ihr Ziel war es vor allem, weiterhin die Schwarze Bevölkerung zu unterdrücken. Der Konflikt zwischen den britischen und burischen Expansionsbestrebungen mündete im ersten (1880) und zweiten Burenkrieg (1899–1902), welche schließlich die Brit:innen gewannen.
Jedoch gab es ab 1934 Bestrebungen, den Frieden zwischen den beiden britischen und burischen Besatzungsmächten herzustellen. So wurde die South African Party (britisch) und die Nasionale Partie (burisch) zur National Party, welche dann nach Ende des Zweiten Weltkrieges für den Ausbau der autoritären und legalisierten Apartheidsstrukturen verantwortlich war. Es formte sich eine rassistische Zweiklassengesellschaft auf dem Prinzip der “separaten Entwicklung”: die weiße Bevölkerungsminderheit vereinnahmte die komplette politische, ökonomische und gesellschaftliche Macht und die Schwarze Bevölkerungsmehrheit wurde durch zahlreiche Gesetze so gut wie aller ihrer individuellen und politischen Grund- und Freiheitsrechte beraubt.

Noch heute, fast 30 Jahre nach offiziellem Ende des Apartheid-Regimes in Südafrika, erinnern neben Gebäuden zahlreiche Orts-, Städte- oder Flussnamen an die Kolonisations- und Apartheidszeiten. Auch müssen alle Kinder in der Schule weiterhin Afrikaans und Englisch lernen, ausgerechnet die beiden Kolonialsprachen der elf offiziellen Landessprachen Südafrikas. All das erinnert an Zeiten, in denen der größte Teil der Bevölkerung systematischer rassistischer und gewaltsamer Unterdrückung ausgesetzt war.

Anhand der historischen Hintergründe der ehemaligen Orts- und Städtenamen im Eastern Cape zeichnet sich der symbolische Wert hinter den Umbenennungen ab. So war Port Elizabeth nach der verstorbenen Ehefrau von Sir Rufane Donkin benannt. Er war 1820 Gouverneur der Kapkolonie. Grahamstown bekam seinen Namen von dem britischen Soldaten John Graham, der im vierten Grenzkrieg gegen das Volk der Xhosa erstmals strategisch “A great deal of terror“ einsetzen wollte.

Jetzt ist Port Elizabeth nach der ältesten Wohnsiedlung der Stadt benannt: Gqeberha. Was auch der isiXhosa Name für den Fluss ist, der durch die Stadt fließt. Diese Wohnsiedlung ist nach fortschreitender Industrialisierung als Walmer Township bekannt, der Ort, an dem Masifunde vorwiegend arbeitet. Der internationale Flughafen und Grahamstown haben nun eins gemeinsam, sie heißen beide nach Khoi Chiefs, die gegen die britischen und niederländischen Kolonialmächte kämpften: Chief Dawid Stuurman International Airport und Makhanda.

Nicht-Betroffene können sich wahrscheinlich wenig vorstellen, wie es sein muss, in einer Stadt zu leben, die nach Jahrhunderten der Unterdrückung und Diskriminierung der eigenen Vorfahr:innen benannt ist. Das gleicht einer konstanten Erinnerung und Entwürdigung. Auch wenn eine Namensänderung wenig an (Gesellschafts-)Strukturen ändert, kann es diese aufrütteln und einen Anschub geben, sich mit den historischen Hintergründen auseinanderzusetzen. Denn wie es Mputhumi Ntabeni (Autor und Kolumnist, lebt in Kapstadt) in einem Interview mit Newsroom South Africa sagt: “The name change is restoring the proper names that were changed by the colonial masters. And it gives us a chance to pride and a chance to restore our heritage that was fractured by the colonial masters. Also, it teaches other people that there was a history in the Eastern Cape before the white people came.“

Wenn ihr einen Überblick über weitere Namensänderungen bekommen wollt, klickt hier. Die Aussprache von Gqeberha könnt ihr hier anfangen zu üben.

Autor:in

Leah Tomerius
PR & Friendraising

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